Auf den ersten Blick erscheint es widersprüchlich, in Totholz eine Bereicherung der Biodiversität, also der Vielfalt des Lebens, zu sehen. Man mag auch erstaunt sein, wenn von Totholz im Gemeindegrün die Rede ist, wird doch besonders im öffentlichen Raum großer Wert auf eine gewisse „Ordnung“ gelegt. Genau deshalb folgt hier ein Plädoyer für das Totholz und die Möglichkeiten, den öffentlichen Grünraum damit attraktiv zu bereichern.
Text: Bernhard Haidler
Im öffentlichen Grünraum gibt es zahlreiche Varianten, um mit Totholz Lebensräume zu schaffen. Ein alter, abgestorbener Baum muss nicht komplett entfernt werden. Ein Stamm mit ein paar stark eingekürzten größeren Ästen kann sich in eine bizarre „Figur“ verwandeln. Zu einem Hingucker wird die Baumruine auch, wenn sie mit Efeu, Kletterrosen, Geißblatt oder Clematis begrünt wird. In manchen Parks werden stark eingekürzte tote Bäume von Künstlern mit Schnitzereien verziert oder zu anderen „Kunstwerken“ umgewandelt.
Totholz birgt reiches Leben. Im alten Holz können sich Prachtkäfer ansiedeln und Spechte ihre Wohnung bauen. Als Nachmieter ziehen möglicherweise Meisen, Steinkauz oder Fledermäuse ein. Sie erweisen sich als sehr nützlich, weil sie vielerlei Insekten fressen, der Steinkauz auch Mäuse. Wenn es aus sicherheitstechnischen Gründen notwendig ist, den Baum zu fällen, können wenigstens ein oder zwei Meter des Stammes belassen werden. Werden Baumstumpf oder Baumstamm mit der Zeit von Pilzfruchtkörpern, Efeu oder anderen Kletterpflanzen überwachsen, macht sie das zu einer sich allmählich verändernden Skulptur und damit zu einem lebendigen Blickfang im Park. Tiere haben außerdem die Möglichkeit, sich auf dem von der Sonne erwärmten Holz zu sonnen. In schattigen Bereichen und bei feuchtem Wetter zaubern Moose oder Flechten schöne Muster auf die Baumstümpfe und verleihen diesem Winkel eines Parks ein märchenhaftes Ambiente. Unter seinen Wurzeln suchen feuchtigkeitsliebende Tiere wie Salamander, Kröten oder Grasfrösche gerne Unterschlupf.
Eidechsen wärmen sich in der Sonne auf (li. oben), Holzbienen nisten in abgestorbenen Baum- stämmen (li. unten), Flechten überwachsen dekorativ den alten Holzzaun (re. oben). Totholzangebot in einem „ordentlichen“ Rahmen – auch das geht gut. (re. unten)
Holzstapel, Asthaufen, Einfassungen. Manchen Tierarten kommt hingegen liegendes Totholz in Form von liegenden Stämmen, Holz- oder Aststapeln zugute. Große Insekten wie Laufkäfer nutzen sie als Versteck und Überwinterungsquartier. Auch der Igel zieht sich gerne darunter zurück. All diese Tiere sind hilfreiche Gesellen, weil unter anderem Schnecken auf ihrem Speiseplan stehen. Manchmal bauen Rotkehlchen oder Zaunkönig ihr Nest in einem Asthaufen, der Hausrotschwanz nutzt Holzstapel als Nistplatz. Wem ein einfacher Asthaufen zu schlicht oder zu „unordentlich“ ist, der kann die Äste zwischen zwei Pfosten aufschichten und somit natürlichen Sichtschutz und Begrenzung schaffen, wie man etwa im IGL-Park in Korneuburg besichtigen kann. Mit liegenden Stämmen lassen sich Grünraumflächen ebenfalls natürlich strukturieren. Sie werden oft auch als Balanciergerät für Kinder bewusst in Parks platziert, etwa im Schlosspark Laxenburg. Wenn Zäune oder Beeteinfassungen aus Holz nicht mit chemischen Mitteln imprägniert werden und naturbelassen bleiben, siedeln sich auf ihnen ebenfalls Flechten, Moose und Algen an und ergeben reizvolle und schöne Aspekte.
Ungewöhnliches Getier. Auch im Inneren des abgestorbenen Holzes regt sich viel Leben. Larven von bunten Pracht- und imposanten Bockkäfern oder Holzwespen bohren sich durch und hinterlassen dabei hohle Gänge. Mit Hilfe von Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt können diese Tiere auch das an sich wenig nahrhafte Holz aufschließen. Dort, wo in sonniger Lage die verlassenen Gänge der Käfer ins Freie münden, tut sich für bestimmte Wildbienenarten eine willkommene Pforte zur Anlage ihrer Bruthöhlen auf. Sie tragen Blütenstaub und ihre Eier in die Holzgänge und verschließen diese dann in artspezifischer Weise. Im Inneren entwickeln sich die Larven der Wildbienen zu erwachsenen Tieren. Im Gefolge dieser Holzbewohner stellen räuberische Insekten wie der Feuerkäfer, Ameisenbuntkäfer oder diverse Schlupfwespen ihrer Beute nach. Sie fressen die erjagte Beute auf oder parasitieren sie, indem sie ihre Eier in den Körper der Käferlarven legen. Ist das Holz schon so richtig weich und morsch geworden, ist es gerade richtig für die Larven einiger sehr großer Käferarten wie des Hirschkäfers. Letztendlich, nach vielen Jahren, zerfällt das von Pilzen, Bakterien und Tieren zersetzte Holz und geht in Humus über. Asseln, Regenwürmer, Milben und Tausendfüßer sorgen dafür, dass aus dem Holz schlussendlich wieder humusreiche Erde entsteht.
Egal welche Projekte bezüglich Totholz in den Gemeinden umgesetzt werden sollen: Wichtig ist es, die Bevölkerung mit Tafeln oder sonstigen Hinweisen zu informieren, um Bewusstsein und Akzeptanz für das wertvolle Naturelement Totholz zu schaffen.
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Bernhard Haidler, „Natur im Garten“ Berater Mostviertel
Seit 1. 5. 2024 ist die Baumhaftung in Österreich neu geregelt. Zuvor mussten sich Baumeigentümerinnen und -eigentümer, wie etwa Gemeinden, analog zur Gebäudehaftung und Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümern nach Personen- und Sachschäden entlasten. D. h. sie mussten beweisen, alles Zumutbare getan zu haben, um Unfälle durch herabfallende Äste oder umgestürzte Bäume zu vermeiden. Der vermeintlich einfachste Weg war es daher, Bäume präventiv zu fällen, um einer möglichen Haftung zu entgehen. Der Begriff „Angstschnitte“ hat sich dafür eingebürgert. Die Analogie mit der Gebäudehaftung stammt aus den 60er Jahren und ist angesichts des Klimawandels nicht mehr zeitgemäß. Ein Baum ist ein lebendes Objekt mit einem ökologischen Wert und kein Gebäude. Unzählige 100-jährige Bäume können einen 300-jährigen Baum nicht ersetzen. Durch das Haftungsrechts-Änderungsgesetz 2024 entfällt nun die Beweislastumkehr, das heißt: Die Geschädigten müssen beweisen, dass der Baumhalter seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. Die Baumhaftung gilt explizit nicht für Waldbäume. Hier greift nach wie vor das Forstgesetz.
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